Irgendwo #3
Trotz des Titels kann die Neuerscheinung des „irgendwo“ mit genauen Lokalisierungen der besuchten Orte und Spiele punkten. Absolutes Highlight ist eine Reise nach Nordkorea, die den Leser derart fesselt, dass er sich selbst vor Ort wähnt.
Irgendwo und irgendwann findet sich immer eine Lesegelegenheit, nur das Schreiben der Rezension findet nicht zwangsweise direkt nach dieser statt. So schlage ich irgendwo zwischen Göttingen und Kassel die dritte Ausgabe des irgendwo auf, während der Zug durch einen Tunnel jagt und mache mich erst Monate später an die Finalisierung meiner Eindrücke. Das Lesen ging hingegen wesentlich schneller vonstatten: Trotz der stattlichen Anzahl von 147 farbigen Seiten ist das Heft am nächsten Abend bereits vertilgt.
Schlicht ist Trumpf
Die Aufmachung des Heftes überzeugt innen und außen gleichermaßen. Besonders lobend hervorzuheben ist die Schlichtheit des Designs und der Mut zu Weißflächen. Durch die großflächigen Fotos, die teilweise in den Hintergrund und den Textumfluss integriert wurden, besticht das Druckerzeugnis durch erhabenen Minimalismus und eine daraus resultierende Eleganz. Die Mühe des Autors ist demnach besonders im Detail zu erkennen, da er zum Beispiel die Spielpaarungen mit unterschiedlichen „Papiermustern“ hinterlegt hat.
Inhaltlich hat mir besonders gefallen, dass die beschriebenen Spiele – trotz des Erscheinungsdatums zu Beginn des Jahres – sagenhafterweise aus dem Jahr 2019 stammen. In einem Soloprojekt von Partien zu lesen, die gut einen Monat zuvor stattgefunden haben, ist schlichtweg Wahnsinn. Zudem schätze ich sehr, dass der Autor ab und an klare Kante bekennt und seine Meinung kundtut. Vor allem in Hinblick auf die restlose Verwahrlosung der deutschen Sprache schreibt er mir in dem oftmals polemisierten und von Unkenntnis triefenden Diskurs den Frust von der Seele.
In der Kürze liegt die Würze
Die kürzeren Berichte zu den Spielen in Deutschland, Frankreich und anderen umliegenden Länder sind zwar nicht schlecht geschrieben, doch wirklich unterhaltsam oder informativ sind sie nur in wenigen Fällen. Oftmals fehlt hier einfach eine Prise Humor oder trockene Fakten – so viel zu meinem Hauptkritikpunkt. Das ein oder andere Spiel hätte zudem mehr Lesestoff hervorbringen können, aber in der Kürze liegt oftmals eben auch die Würze. Die Partien waren darüber hinaus jedoch äußerst abwechslungsreich.
Bei den längeren Berichten blüht der Verfasser hingegen merklich auf: Schließlich gibt es bei einigen der Reiseeziele genug zu berichten. Bei Malta hätte ich mir zwar ein bisschen mehr Informationen zu den touristischen Attraktionen gewünscht und auch bei Kiew hätte der Autor keine Angst vor der Langeweile des Lesers haben müssen, doch mit dem Besuch von Chernobyl und Nordkorea wurden letztlich astreine Texte vefasst. Allen voran begeistert natürlich der Bericht in das wohl isolierteste Land der Welt.
Irgendwo in Nordkorea
Es wurden hierbei nicht nur unschätzbare Eindrücke niedergeschrieben und damit die Angst vor dem Unbekannten genommen, sondern auch die Gemütslage während des Urlaubs bestens zu Papier gebracht. Dass am Ende des Textes der Eindruck entstehen könnte, die guidebasierte Propagandatour hätte mehr gefruchtet, als es sich der Autor eingestehen will, zeugt meines Erachten umso mehr von der Güte der Reiseerfahrung. Die zahlreichen Besichtigungen allerlei Attraktionen und die Begleitung in Form zweier hübscher Damen machen jedenfalls Lust auf eine Nordkorareise.
Großen Raum wird außerdem den Fanzinerezensionen eingeräumt: Hier werden nicht nur drei oder vier ausgewählte Hefte, sondern gleich eine ganze Wagenladung abgehandelt. Respektabel finde ich das vor allem, weil die Fanzinekultur von der gegenseitigen Kenntnisnahme nur profitieren kann und die Leser dadurch neue Werke zu Gesicht bekommen. Dass dabei nicht nur Lob verteilt wird, ist ebenso positiv anzumerken wie die Aufnahme meines eigenen Heftes in den Rezensionsmarathon. Vielen Dank dafür! Es sollte immer gewürdigt werden, wenn sich jemand derart mit einem Machwerk auseinandersetzt.