Panne vor der Pandemie
Das letzte Fußballwochenende bevor das Coronavirus den Spielbetrieb lahmlegte, war in vielerlei Hinsicht ein ereignisreiches. Ausschließlich positiv waren die Erlebnisse jedoch leider nicht.
Da der ukrainische Verband trotz Pokalrunde eine englische Woche in der Liga einlegte und damit die interessanten Heimspiele unter der Woche austrug, ließ ich meinen Flug verfallen und saß am Freitagnachmittag am Steuer meines Gefährts anstatt auf der unkomfortablen Bestuhlung eines Billigbombers. Freitagsspiele hatten sich in diesem Jahr oftmals als unerwartete Highlights entpuppt, dieses Mal war die Hoffnung dahingehend jedoch äußerst gering.
Abgesehen von den weniger ansprechenden Fusionsvereinen standen die sportlichen Vorzeichen allerdings durchaus gut: Der Spitzenreiter empfing den Tabellendritten und einen kleinen Mob hatten die Gäste neben einer glanzvollen Trainerhistorie ebenfalls im Gepäck. Da ich den Recken hinter der hübschen Zaunfahne mit kleinem Herzen allerdings nur einen niedrigen Randalefaktor attestierte, wurde kurz vor Spielbeginn zunächst der Magen gefüllt und somit beinahe ein kleines Blinkerintro der Ahlener verpasst.
Alles Fotzen außer Mutti
Auch wenn dieser und ein weiterer Einsatz blinkender Objekte eher mäßig zur Geltung kam, mauserte sich das Abendspiel des anbrechenden Wochenendes erneut zu einem Volltreffer. Nur die handverlesenen Heimfans auf der Gegengeraden hatten mit dieser Entwicklung wenig zu tun. Nachdem sie zu Spielbeginn optisch und in äußerst seltenen Fällen auch akustisch in Erscheinung traten, standen sie ansonsten im strömenden Regen und ließen sich von den Mitgereisten aus Ahlen beleidigen. „Wiedenbrücker ficken ihre Mütter“, skandierten die Rot-Weißen sehr zur Belustigung der übrigen Meute. Ein „Ott statt Hopp“-Spruchband sowie Schalparaden rundeten den Auftritt ab, der nach allerlei Gegrätsche im Matsch mit einem reingestümperten Tor belohnt wurde.
Nachdem die Feier mit der Mannschaft, in Hoffnung auf ein Pyroinferno, bis zum Schluss beäugt wurde, ging es sodann weiter zur Nachtresidenz an der Autobahn. Eine polnische Dame überreichte uns an der Tankstellenkasse die Plastikkarte ins Glück und wir bezogen unser nach Tabakrauch riechendes Zimmer, wo wir über den fleckigen Teppich stolzierten, uns in dem JVA-Badezimmer mit Plastikinterieur bettfertig machten und zwischen Blut- und Spermaresten Kraft für den neuen Tag tankten.
Denn der Samstag sollte im Düsseldorfer Paul-Janes-Stadion bereits zu früher Stunde ein Spiel für uns bereithalten. Dass er es nicht tat, verrät bereits die obige Ansetzung, denn wenige Kilometer auf der Autobahn absolviert, leuchtete die Motorkontrollleuchte, der Karren rumpelte, verlor jede Beschleunigung und der Herrgott bestrafte den geplanten Besuch einer U19 mit voller Härte. Mit dem dringenden Bedürfnis, das Lenkrad aus der Verankerung zu reißen und damit ein Rehkitz totzuprügeln, bugsierte ich die in letzter Zeit sehr reparaturanfällige Schrottkarre auf einen Rastplatz und schnaufte tief durch. „Ich lasse mich nicht von dir aufhalten – heute ist Fußball, komme was wolle.“
Sympathische Pöbelei
Der Versicherung wurde sogleich ein wichtiger Geschäftstermin in Lüttich genannt, um das Prozedere bestmöglich zu beschleunigen und nach einer knappen Stunde sollte die erste Etappe dieser unnötigen Prüfung erledigt sein. Ein erboster Appschleppdienst rollte mit offenem Fenster auf die winkenden Pannenopfer zu und blökte repetetiv: „Hinter die Tankstelle?!“ Die Lokaliserung hatte er wohl nicht aus Sicht eines durchfahrenden Fahrzeuglenkers, sondern eines an der Spritbude lungernden Russen interpretiert und hinter den Müllcontainern der Gebäuderückseite nach einem hilfsbedürftigen Auto gesucht.
Fortan kritisierte das Ruhrpottoriginal die heutige Jugend ob ihrer großen Handys, mit denen es doch zweifelsohne möglich sei, eine Werkstatt in der Nähe zu finden, um sofort im Anschluss zu insistieren, dass eine Reparatur am Wochenende unmöglich sei und es angesichts der Motorgeräusche eine gute Idee war, möglichst schnell an einem Rastplatz anzuhalten. Hauptsache gepöbelt. Nachdem der sympathische Herr – das meine ich keineswegs ironisch – uns neben einer Türkenhochzeit stehen ließ, war nun Warten angesagt. Acht Zigaretten und gut eine Spielzeit beim Fußball später empfingen wir unseren von der Versicherung gestellten Mietwagen und steuerten erleichtert das zweite, erste Spiel des Tages an.
Die Parkplatzsituation vor Ort war angesichts der fortgeschritten Zeit zwar bescheiden, doch davon ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen – schließlich hatte ich die Anstoßzeit schlichtweg vergessen. Erst der Hinweis, dass meine Trödelei in Anbetracht des zehnminütigen Fußmarschs eher unangebracht sei, führte zu einem Sprint durch den mit Bauzäunen vollkommen sinnlos abgesperrten Wald hinein ins Stadion, wo die beiden Mannschaften bereits den Abstiegskampf auf dem Rasen ausfochten. Bis auf das Konfetti-Intro der Gäste, hatten wir glücklicherweise nichts verpasst, auch wenn ich entgegen aller Beweise noch immer der Meinung bin, dass die Münsteraner zu Beginn ein gewaltiges Rauchensemble aus den drei Vereinsfarben gen Himmel entsendet haben. Wofür hätten sie während des Spiels denn sonst je eine Rauchdose in jeder Farbe preisgegeben?
Wo ist meine Frau?
Auf der schmucken Haupttribüne niedergelassen, beäugten wir ein über weite Strecken einseitiges Spiel, das die westfälischen Preußen allerdings nur mit einem Tor bereicherten. Und wer sie vorne nicht macht… Der bekommt in der 78. Minute eine rote Karte und frisst danach den Ausgleichstreffer sowie ein wahnsinnig schönes Freistoßtor von Mike Wunderlich – so verwunderlich dieser Last-Minute-Sieg auch sein mag. Selbst unsere Nebenmänner hätten ihrer Mannschaft diese Wendung nicht zugetraut, obgleich sie den eingewechselten, maximalpigmentierten Brachialstürmern attestierten, dass diese „sehr gefährlich“ aussehen. Die restliche Heimseite glänzte bis auf die Freude über die Treffer einzig durch Stille: Nur ein Herr mittleren Alters durchbrach das Schweigen ab und an, wenn er lautstark nach seiner Frau Viktoria rief, die er wohl schon vor Spielbeginn im Sog der Massen verloren hatte. Den mitgereisten Schlachtenbummlern lässt sich hingegen trotz des drohenden Abstiegs ein einigermaßen gutes Zeugnis ausstellen, auch wenn die Okkupation der „gesamten“ Gegengeraden noch mehr Potenzial birgt.
Das belgische Radio schepperte uns noch immer den Techno um die Ohren, als wir nach einer Fahrt entlang der Maas am Austragungsort der abendlichen Partie ankamen. Im Schatten des auf der gegenüberliegenden Flussseite gelegenen Cockerill-Sambre-Stahlwerks, ist das 1909 eröffnete Stadion in ein uriges Industriegebiet eingebettet. Dank seiner offenen Ecken ermöglichte es bereits beim Umqueren einen Einblick auf die anstehende Choreografie. Keine Erwartungen haben, ist manchmal die beste Vorbereitung.
Mahlzeit von Gottes Gnaden
Heiß wie Frittenfett gönnten wir uns eine Portion stabförmiger Kartoffeln und warteten dank vorab organisierter Eintrittskarten gemütlich auf den Einlass. Mit der eher unüblichen Zugabe gedünsteter Zwiebeln und Samuraisauce wurde meinem Mitfahrer in diesen erholsamen Minuten gar eine unbeschreibliche Frohlockung zuteil, als er zum ersten Mal in seinem Leben eine Merguez schnabulierte und sogleich einsah, dass es für das heilige Bratgut notfalls auch das eigene Leben aufs Spiel zu setzen gilt. Nach dieser göttlichen Erfahrung ging es endlich hinein in das rote Ungetüm des zehnfachen belgischen Meisters und ich war sofort hin und weg. Geschämt hatte ich mich mittlerweile, noch nie den kurzen Abstecher gewagt zu haben und nun lagen bei einem vermeintlichen Sinnlosspiel bereits die Utensilien für eine Choreo auf beiden Hintertorseiten bereit.
Zum Spiel selbst will ich kein Wort verlieren, da es jeder Beschreibung spottet, doch die optischen Akzente zauberten schneller ein Lächeln auf mein Gesicht als ein einstelliges Wahlergebnis der SPD. Der durchweg aktive Mob neben dem Auswärtsblock präsentierte zu Beginn eine schlichte aber schöne Fahnenchoreo zu Ehren der Freundschaft mit den Jungs vom FC Den Bosch, während die wenigen Gäste daneben in weißen Malerzügen eine Pandemieauswärtsfahrt abhielten. Zugegebenermaßen waren diese auch im Support nicht so schlecht, wie man es vorab erwarten mag. Die Hintertormeute der Ultras Inferno zeigten zu gleicher Zeit ebenfalls ein Fahnenmeer, der dazugehörige Spruch, dass Verbote und Repression ihre Passion nicht aufhalten könne, wurde jedoch umgehend von einer schwarzen Rauchwand verdeckt. Meine Fresse, das war eine ordentliche Sichtbeschränkung!
Unterstützt von Besuchern aus einem Stadtteil Hamburgs, lieferte das überschaubare Stimmungszentrum jedoch nur in wenigen Momenten ab. Größtenteils war der Support eher halbherzig und typisch französisch – nämlich zu schnell vorgetragen. Eine weitere Pyroshow aus schwarzem Rauch und hellen Bengalen rundete den Abend jedoch gebührend ab und mit den gemischten Rauchschwaden vor dem geistigen Auge wurde die nächtliche Etappe zum Hotel im Stadion von Roda Kerkrade angetreten. Einen Blick auf den Rasen hatten wir von unserem Zimmer zwar nicht, dafür kann sich das Etablissement in Relation zum Preis durchaus sehen lassen.
Die Glückauf-Kampfbahn: Endlich konnte ich diese historische Schüssel im Stadtteil Schalke besuchen. Zwar spielt hier seit der Eröffnung des Parkstadions im Jahr 1973 keine erste Mannschaft der Königsblauen mehr, doch der Bau auf einer ehemaligen Zeche hat sich trotz abgetragener Stehplätze bis heute seinen Charme bewahrt. Viel gesehen habe ich von dem torreichen Spiel der zweiten teutonischen Mannschaft – die eigentlich die erste ist – deshalb nicht. Vielmehr war ich mit dem Erkunden der gesamten Anlage samt Streetart beschäftigt, um die alte Heimat der Scheidenethusiasten gebührend auf mich wirken zu lassen.
70.000 Zuschauer fanden sich hier bereits 1931 in einem Freundschaftsspiel gegen Fortuna Düsseldorf ein und ebneten damit den Weg für einen Mythos. Sieben Meisterschaften konnten die Knappen an diesem Ort feiern – vor dem Umzug ins neue Stadion folgte gar ein DFB-Pokal-Sieg, wenngleich das Finale in Hannover ausgetragen wurde. Hier lebt Schalke! Und hier sollte sich jeder ein eigenes Bild machen und das Stück deutscher Fußballgeschichte selbst besuchen, jedes weitere Wort wäre verschwendete Mühe.
Mit der rasenden Zeit im Nacken spurteten wir raschen Fußes durch den prasselnden regen und den Einlass des nächsten Spiels. Vereinstechnisch liegt in Recklinghausen einiges im Argen. Nachdem das Stadion Hohenhorst ursprünglich für Viktoria Recklinghausen erbaut wurde, logierte ab 1981 der nachfolgende Fusionsverein in der Bude mit der geschwungenen Haupttribüne und der imposant hohen Hügelumrandung. Der heutige Gastgeber nennt diese brachiale Hütte seit der Gründung 1996 sein eigen, nachdem der Vorgängerverein aus finanziellen Gründen den Spielbetrieb einstellen musste. Peu à peu wurde der Fußball in Recklinghausen damit immer unterklassiger, doch die Stadt plant anscheinend tatsächlich, die alte Kapazität von 30.000 Zuschauern wiederherzustellen. Warum bleibt ein Rätsel, doch auch wir fantasierten über Architektur, Besonderheiten und Finanzierung unseres eigenen Umbauplanes, der Recklinghausen mit einem der größten Stadien Europas zum Fußballherz Deutschlands machen würde. Der steile Graswall der Gegengerade gibt jedenfalls einiges an Tribünenideen her. Falls jemand die milliardenschwere Umsetzung finanzieren kann, genau Pläne werden gerne per Email weitergegeben.
Anwaltsschreiben nach Stalingrad
Trotz Autopanne ging das Wochenende folglich zufriedenstellend vonstatten. Nur ein U19-Spiel verpasst, keine Hotel-Stornierungen, die Werkstattrechnung hielt sich in Grenzen und die Abwicklung mit der Versicherung hat astrein geklappt. Zeit für einen Wermutstropfen! Nachdem ich den Mietwagen unter der Woche in der Werkstatt abgegeben und mein Fahrzeug in Empfang genommen hatte, folgte, was kommen musste. Entgegen zahlreicher Absprachen erscheinten die Mietwagenheinis nicht am Übergabeort und einige Tage später überraschte der Anruf einer Mitarbeiterin dieses Saftladens für Automobile: Skandalöse Brandflecken mit einem Durchmesser von zwei Millimetern seien auf den Fußmatten der hinteren Sitze sowie an der Plastikverkleidung der linken hinteren Tür entdeckt worden. Der Wagen hätte bei Abholung so stark nach Rauch gerochen, dass der Armen die Tränen in die Augen schossen seien.
Blöd nur, dass die Rückbank nicht benutzt, geschweige denn geöffnet wurde und kein einziger glimmender Gegenstand je das Innere des Fahrzeugs gesehen hatte. Ein zuvor vorhandener Geruch ist uns ebenfalls nicht aufgefallen – sieht man vom Neuwagengeruch ab. Was ein Lügenweib! Die horrende Zahlungsaufforderung samt Einbehaltung der telefonisch versprochenen Kaution zeigten auf, dass selbst die großen Mietwagenfirmen in Deutschland mitunter die größten Verbrecher sein können und marginale Altschäden auf Dummköpfe abgewälzt werden. Obwohl die Telefonmamsel auf härteren Widerstand stieß als die Wehrmacht im Kampf um Stalingrad, führte die Einsicht und der gute Zuspruch keineswegs zu einer Kehrtwende, sondern gar Fußabdrücke auf der Beifahrermatte wurden nun als Schaden deklariert. Erst ein anwaltliches Schreiben später hatte ich meine Kaution wieder und die Mahnungen erreichten statt mich wohl den nächsten Kunden. Ein Beweis dafür, dass große Konzerne problemlos ihre Kunden drangsalieren können, da die Anwaltskosten oftmals den Streitbetrag übersteigen. In der Corona-Krise könnt ihr gerne Insolvenz anmelden, allen Lesern wünsche ich hingegen Gesundheit und Kraft, um die fußballfreie Zeit zu überstehen. Wir lesen uns wieder!